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Tapete

Mein Einstieg in des professionelle Resale-Business begann mit Tapete.

Genauer gesagt: Mit einer gebrauchten Tapeten-Druckmaschine.
Ein aus insgesamt 16 Druckwerken bestehendes Monstrum, das mit allen zur Verfügung stehenden Druckverfahren (Tiefdruck, Offset, Hochdruck) Papier bedruckte, welches der Käufer an die Wände seiner Wohnung kleben konnte. Diese Maschine stand in Bonn-Beuel in einer alten, ausgedehnten Fabrikanlage (genannt die Rheintapete), die ein cleverer Bauunternehmer im Zuge einer Insolvenzauktion ersteigert hatte.
Ich stand damals (Mitte der 80er) nach einer unorthodoxen Ausbildungskarriere kurz vor der Meisterprüfung als Drucker und war von einem der vielen Handelsuntehmen für gebrauchte graphische Maschinen shanghait worden, die sich in Wakefield (vordem fiel mir zu diesem Namen nur der Vikar von Oliver Goldsmith ein) angesiedelt hatten und sich untereinander bis aufs Messer bekriegten.
Jetzt also galt es: Blaumann aus, Businessanzug an, Krawatte um.

Die erste Aufgabe im neuen Job: Die Rheintapete verkaufen.
Das war technisches Neuland für jemanden, dessen drucktechnischer Horizont begrenzt war vom Format 50 X 70 cm. Deshalb als erstes: Maschinenbesichtigung. Der Bauunternehmer-Besitzer hatte uns (und vielen, vielen anderen Maschinenhändlern) die Maschine mittels eines zweiseitigen, abgezogenen Anschreibens angeboten, auf dem unübersehbar in Bild-Headline-großen Ziffern seine Kaufpreisforderung prangte:

1.000.000,-

Das war knapp und scharf kalkuliert und bewies vor allem eines: der Typ hatte keine Ahnung.
So etwas soll wohl ab und an im antiquarischen Buchgewerbe ähnlich vorkommen: Herr Schlaumeier hat eine alte Bibel aus dem 17. Jahrhundert, erinnert sich gelesen zu haben, alte Bibeln sind teuer, da werden Millionen für gezahlt (stimmt ja auch, wenn's die B 42 ist) und schreibt "für einen schnellen Verkauf" mal 350.000,- dran (zufällig will Herr Schlaumeier umziehen und das 1,5-Zimmer-Apartment in Haidhausen wär darum zu haben).

So ähnlich dachte der Herr Q. aus BB wohl auch.

Brav stiefelte ich also mit dem Verkäufer durch dunkle, unaufgeräumte Produktionsräume, besah die schäbigen Reste des faillierten Tapetendruckunternehmens, fotografierte, was zu fotografieren war, und zog von dannen mit dem Versprechen, mich wieder zu melden.

Nun machte unser Büro eine Aussendung an viele viele Maschinenhändler weltweit, sprach von einer einzigartigen, frisch akquirierten Occasion, nannte vorsichtshalber keinen Preis, wohl aber wiesen wir darauf hin, die Zaubermaschine sei zu erwerben "as is" und "ex site", Konditionen, die mir lebhaft erklärt und eingebleut wurden, ohne die es nicht ginge, wolle man nicht in Teufels Küche (sprich Garantien und vollkommen unwägbare Kosten für dismantling und loading) geraten. Auch der Standort der Maschine wurde im geheimnisvollen Dunkel belassen - ein Grundsatz wohl der Makelei.

Angebote also wie z. B. auf dem Düsseldorfer Tunneldeckel (vulgo Büchermeile, dreimal im Jahr): Gucken, Fühlen, Kaufen, weg. Keine Garantien, keine Rücknahmen, gekauft wie besehen und bezahlt wird B A R.
Ok, das ging mit den Preisen für gebrauchte Druckmaschinen nicht. (Dachte ich, bis ich merkte: da gibt es zweierlei. Die Rechnung und den Griff in die Hosentasche bzw. den Aktenkoffer. Dazu ließe sich so manches Color-Druck-Liedchen singen, doch das soll hier nicht das Thema sein.) Diese Dinge sollen sich ja ein wenig geändert haben, seit den Finanzministern bezahlte Vögelchen auf CD gepresste Lieder trällern.

Bald gab es Resonanz. Doch, oh Wunder: Fast jeder der anrufenden Maschinenhändler stellte nach den Höflichkeitsfloskeln die Frage: Ist das die Rheintapete-Maschine?
Das Ding war bekannt wie ein bunter  Hund. Der Preis war vollkommeen indiskutabel. Die Gespräche waren schnell beendet. Das Ding war unverkäuflich. Technisch veraltet. Der Markt für die Produkte war nicht mehr existent. Ungefähr so, wie ein Großer Brockhaus...

Den aber kann man ja wenigstens noch als "Tapete" vermarkten.

Doch, doch, das kommt vor. Der Rechtsanwalt, der eine neue Kanzlei bezieht, in der wundervolle Einbauregale stehen. Nur sind diese leider leer. Gibt es denn einen traurigeren Anblick als leere Bücherregale? Einem solchen, verzweifelten Kunden durften wir einmal helfen. Für einen recht angenehmen Meterpreis lieferten wir nett anzusehende Halbleder/Lederbände (Inhalt egal) - es waren wohl um die 30 laufende Meter. Ei, da hüpften die Ladenhüter in die Bananenkartons! Und, ei, da klingelte es in der Kasse!

Aber auch da muss man wohl sagen: tempi passati.

Vorbei auch "Drei Meter edition suhrkamp, aber bitte farblich sortiert", wie weiland die Bestellung einer blonden Mondänen in der Buchhandlung Lincke (Gott hab' sie selig) auf der Kö in Düsseldorf.
 
Nicht soo lange vorbei ist die Konstruktion einer Tapete durch Zusammenkauf einer auseinandergerissenen Fürstenbibliothek auf einer süddeutschen Versteigerung. Die Verauktionierung der geschlossenen Bibliothek brachte ein Rekordergebnis.
 
Vor einer sehr beeindruckenden Büchertapete ließ sich Karl Lagerfeld gerne fotografieren. Querliegende Bildbände, in schwindelerregende Höhen gestapelt, dadurch quasi unnutzbar. Eben: Tapete.
 
Die Bücherwand als Ausweis von Bildung und Kompetenz ist wohl ein Relikt. Wenn überhaupt, geht es nur noch um Deko.

Klassische Büchertapete

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