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Tage in Burma: Antiquarin auf Hochzeitsreise

Es soll ja Bücherfreunde geben, die ihre Flitterwochen vorzeitig abbrechen mussten, weil das Reisebudget durch "unvorhergesehene" Ausgaben merklich dezimiert wurde. Das, so sei gleich verraten, ist unserer reisenden Antiquarin nicht passiert. Ein paar (Bücher-)Beobachtungen aus der und über die Ferne bleiben der geneigten Blogleserin oder dem -leser aber natürlich trotzdem nicht erspart.

Denkt man an Kleidung, Essen oder Dienstleistungen jeglicher Art, wird es auch eher schwierig, in Myanmar das Reisebudget zu sprengen. Geht man auf Ballonfahrt oder interessiert man sich für Gold und Juwelen sieht es gleich schon etwas anders aus. Was soll ich sagen, zu den Kardinaltugenden des antiquarischen Unternehmers zählt nicht zuletzt das Schatzjäger-Gen - und das ist bei mir definitiv nicht zu kurz gekommen. Dieses auszuleben bietet Myanmar zweifelsohne genug Gelegenheiten: Ob bei Bootsfahrten, die einen zu Seidenwebereien oder Silberschmieden auf (!) einem See oder zu den entlegenen Kakku-Tempeln führen, auf Edelsteinmärkten oder beim Entdecken erdbebenzerrütteter Monumentalheiligtümer, hier kann man sich wirklich fühlen wie Indiana Jones. (Der ultimative Fototipp für stilechte Entdeckeratmosphäre lautet übrigens: Einmal um den Tempel herumgehen. Sieht meistens gleich aus, aber ohne andere Menschen.) Liebhaber feiner Bücher müssen in good old Burma allerdings ganz stark sein...

Reiselektüre, printed in Myanmar
Nachdem der Versuch, einen der empfohlenen Buchläden in Yangon zu besuchen, an dessen unerwarteten Umzug ans andere Ende der Stadt gescheitert war (den wir natürlich erst vor Ort bemerkten), betraten wir ein halbwegs einschlägiges Geschäft erst drei Reisestationen später, im Tempelparadies Bagan. 
Tatsächlich war schon die Ankunft in Bagan von vielen emsigen Buchverkäufern "begleitet" worden: Wir hatten die Strecke von Mandalay nach Bagan mit dem Schiff zurückgelegt und am Bootsanleger wurden die Touristen dann mehr als geschäftstüchtig in Empfang genommen: Wer sich nicht SOFORT in eines der bereitstehenden Taxis warf, dem wurden sogleich burmesische Warenerzeugnisse jeglicher Art lautstark angeboten: Lackdöschen, Muschelkettchen, Tempelkarten von Bagan - und eben Bücher. Wer also versäumt hatte, sein Reiseexemplar der "Burmese Days", des Dschungelbuchs oder von "Shooting an Elephant" mitzunehmen, auch wem noch ein Reiseführer fehlte, der musste nicht verzagen, gab es sie doch alle preisgünstig am Straßenrand zu erstehen. Und zwar originalverschweißt, als Penguin-, Gallimard- oder Diogenes-Ausgabe, ganz nach Gusto bzw. sprachlichen Fähigkeiten.


Der "Books & Souvenirs Store" tauchte dann einfach so am Wegesrand auf, also musste er natürlich besichtigt werden. Wie in fast allen Geschäften wurde erst einmal die ganze Beleuchtung eingeschaltet, als wir den Laden betraten. Hier gab es im Grunde ebenfalls das gesamte Bagan-Begrüßungssortiment: Neben Büchern eben auch die allgegenwärtige Lacquer Ware, Postkarten, Straßen- und Tempelkarten, Schmuck, Magnete. Das Buchsortiment hatte alles zu bieten, was das Herz des Reisenden begehren konnte: Die "Burma-Klassiker" von Orwell und Kipling, diverse Reiseführer, -bücher und -berichte, Bücher über Kunst, Religion, Architektur, Politik und Gesellschaft des Landes, Bildbände, Kochbücher.
Bunte Einbände leuchteten dem Betrachter aus den diversen Regalen entgegen - um jedesmal beim Aufschlagen des Buches den Blick auf Fotokopien freizugeben. Originally printed in Burma. Nun ja, in Sachen Price-Leadership ging die Rechnung jedenfalls auf: Ich nenne nun ein "druckfrisches" Exemplar von Orwells "Burmese Days" mein eigen und zwar für nur 3.000 Kyat - das sind etwa 1,80 Euro.

Palmenblätter mit komischen Zeichen
Ein bisschen Forschungsreisencharakter bekam der Urlaub dann - trotz mangelnder ernstzunehmender antiquarischer Angebote - aber doch noch. So war, noch in heimischen Gefilden, aus einer der zahlreichen zuletzt angekauften Bananenkisten nämlich ein einigermaßen mysteriöses Artefakt zutage getreten. Dabei handelte es sich um zwei längliche, rechteckige Holzstücke, zwischen denen sich ein mehrere Zentimeter hoher Stapel leicht gerippter, J.R.R.-Tolkien-fantastisch beschrifteter Blätter befand. Das Ganze war in der Mitte gelocht und an dieser Stelle mit einer Kordel durchzogen, mit der das Konstrukt zu Zwecken des Zusammenhalts umwickelt war. 
Ich finde alles was funkelt, glänzt oder geheimnisvoll aussieht grundsätzlich erst einmal interessant, also fragte ich den Vater: "Was ist das?" Seufzen. "Tja... Man weiß es nicht so genau." - "Und was machen wir jetzt damit?" - "Naja, was man dann eben meistens so macht: Zur Seite stellen und erstmal liegen lassen." Und so geschah es.

In Myanmar an einem Straßenstand entdeckte ich dann ein ganz ähnliches Exemplar und fragte englisch-händisch nach, zumal ich bereits den Verdacht entwickelt hatte, die geheimnisvollen Schriftzeichen könnten Burmesisch sein. Und so fand ich heraus, dass es sich bei den merkwürdig gerippten Buchseiten um Palmenblätter handelt: Auf diesen wird häufig die Lebensgeschichte Buddhas erzählt - gewissermaßen sind diese Palmblattbücher also das Bibeläquivalent aus Myanmar. Ob das nun ein Fingerzeig war?...

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