„Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?“ ist als eine der Klassikerfragen im Bewerbungsgespräch gefürchtet und als mehr oder weniger zuverlässiger Gradmesser intellektueller Kompetenz im Partygespräch hinlänglich bekannt. Gute Buchempfehlungen auf der anderen Seite sind ein rares Gut. Zwar sind die Feuilletons der großen Tages- und Wochenzeitungen stets gefüllt mit Hinweisen, was die Frau oder der Mann von Welt aktuell gelesen haben muss, doch mit dem eigenen Geschmack beziehungsweise echtem Lesevergnügen hat das nicht unbedingt immer viel zu tun.
Wir widmen uns im Folgenden zudem ausdrücklich nicht neu erschienenen Büchern, sondern möchten Ihnen Einblicke in unsere ganz eigenen Lesewelten geben - sozusagen Buchtipps vom Nachttisch des Antiquars. Von den Nachttischen muss es korrekterweise heißen, denn es kommt ja die ganze Belegschaft zu Wort.
Sonja, 66 - Die Chefin
Lesen ist für mich alles: Unterhaltung, Entspannung, Rückzug aus dem Alltag und vieles mehr. Am liebsten lese ich im Bett: Am Wochenende bei einem Milchkaffee mit einem Frühstücksbrot kann das schonmal den ganzen Vormittag dauern.
Adriana Altaras: doitscha. Eine jüdische Mutter packt aus. (2014)
Das Buch in einem Satz
Erzählt wird sehr humorvoll die Geschichte einer jüdisch-deutschen Familie mit zwei pubertierenden Söhnen, einer jüdischen Mutter und einem deutschen Vater.
Lese ich weil…
… ich gern Familiengeschichten lese und mich jüdische Tradition interessiert.
Sollte man lesen wenn…
… man Lust auf ein kluges, witziges Erzählen aus dem Alltag hat.
Geeignet für…
… alle - Frauen haben vielleicht den größeren Spaß dabei.
Fazit
Die Autorin und Schauspielerin Adriana Altaras hat mir mit diesem Buch Stunden bester Unterhaltung geschenkt.
Holger, 68 - Der Buchpate
Ich lese eigentlich am liebsten den ganzen Tag - deshalb bin ich ja auch Antiquar geworden. Es gibt nichts Besseres, als sich den ganzen Tag in Literatur, Biografien und kuriosen Druckerzeugnissen aller Art zu versenken. Und bei meinem Beruf gehört das glücklicherweise mit zu den Hauptbeschäftigungen, gute Recherche ist schließlich unabdingbar.
Fritz J. Raddatz: Tagebücher. Jahre 1982 - 2001. (2010)
Das Buch in zwei Sätzen
Raddatzens sehr subjektive und egozentrische Betrachtung/Beschreibung von zwei Jahrzehnten Kultur-/Literaturbetrieb bedient zweifellos voyeurhafte Gelüste. Nahezu jegliche Rücksichtnahme auf die Beschriebenen und deren möglichen Reaktionen entfällt: Raddatz schreibt, was er denkt. Und er schreibt über alle...
Lese ich weil…
Draufgekommen bin ich über seine „Jahre mit Ledig“, einen Tag nach seinem selbstgewählten Exit von der Bühne des Lebens erschienen. Verlagsgeschichte ist ja für einen Antiquar quasi immer ein Muss - diese war spannend!
Fazit
Zu Raddatzens Lebzeit habe ich ihn nicht wirklich wahrgenommen. Jetzt habe ich mir den Band 2 seiner Tagebücher bestellt.
Johanna, 33 - Die Tochter
Ich persönlich finde, der Gemütlichkeitsaspekt ist das einzig richtig Gute am Spätherbst und Winter, ansonsten bin ich als passionierte Draußen-Person und Sportlerin eher ein Fan der wärmeren Jahreszeiten. Zum Glück geht es nächste Woche in den Urlaub nach Burma, da ist die Wettervorhersage mehr in meinem Sinne. Bis dahin muss ich mir mit viel Tee und guten Büchern durch die dunkle Jahreszeit helfen - und, fast noch wichtiger, die passende Reisebibliothek zusammenstellen! Leider lese ich nie einfach nur ein Buch - es sind immer mehrere auf einmal. Das liegt bei mir aktuell auf dem Nachttisch:
Céleste Albaret: Monsieur Proust (1973)
Das Buch in zwei Sätzen
„Monsieur Proust“ ist keine Biografie im herkömmlichen Sinne, vielmehr nimmt einen die „liebe Céleste“ mit in das wahre Leben des genialen Schriftstellers - nämlich in das dunkle Schlafzimmer, in dem Proust sein Werk mit Hilfe seiner liebsten Angestellten zu Papier brachte. Die Proust eng vertraute Céleste macht in ihrem Bericht das Zusammenleben mit dem Autor und bisweilen sogar ihn selbst fast greifbar.
Lese ich weil…
… ich seit Jahren an Prousts Recherche herumlese, was aber ein echter Etappenlauf ist. Zwischendurch verlässt mich immer mal die rechte Lust und dann macht es mir einfach mehr Spaß, mit Céleste hinter die Kulissen von Prousts Epos zu schauen.
Sollte man lesen wenn…
… einem nach einkuscheln mit Decke und Buch ist und man sich noch auf einen Tee mit Marcel und Céleste treffen mag.
Geeignet für…
… alle, die auch auf der Suche nach der verlorenen Zeit sind oder sich noch auf diese begeben möchten.
Fazit
Wahnsinnig plastisches und lesenswertes Proust-Porträt
Paul Auster: 4321 (2017)
Das Buch in zwei Sätzen
In seinem allerseits zum Opus Magnum erklärten Buch macht Paul Auster sein Lieblingsmotiv, den Zufall, zum Protagonisten und erzählt vier mögliche Lebensgeschichten seines Helden Archibald Ferguson. Dies tut er lebensabschnittsweise, so dass der Leser immer wieder zwischen den vier Archie-Versionen hin- und herspringt, und kann dabei, da praktischerweise alle Archies irgendwie schreiben, auch bislang in der Schreibtischschublade liegende Kurzgeschichten verwerten.
Lese ich weil…
… ich ein riesiger Paul-Auster-Fan bin. Dieses 1.264 Seiten starke Buch habe ich von meinem Lieblingsnachbar zum Geburtstag bekommen. Allerdings zum vorletzten. Ich muss mich also hier als a) nicht besonders schneller und b) nicht besonders geduldiger Leser outen.
Sollte man lesen wenn…
… man Stadt aus Glas, Nacht des Orakels und Mann im Dunkel schon kennt.
Geeignet für…
… Fans von Paul Auster und von Episodenfilmen.
Fazit
Meiner Meinung nach nicht Paul Austers bestes Buch, aber ich mag seine Schreibe so sehr, dass ich dranbleibe - und die 1,2 Kilo Buch nun wohl noch auf die zweite Fernreise mitschleppen werde.
Arthur Conan Doyle: The Adventures of Sherlock Holmes (1892)
Das Buch in zwei Sätzen
Dass Sherlock Holmes nicht totzukriegen ist, musste Conan Doyle sogar selbst feststellen - und ihn nach dem Sturz in die Reichenbachfälle („The Final Problem“) und vehementen Fan-Protesten wiederbeleben. Alt wird der Detektiv auch nicht: Nachdem ich die Fälle längst alle schon gelesen habe, freue ich mich gerade wieder, die bekanntesten Abenteuer noch einmal im Original in Doyles klarer, pointierter Sprache zu lesen.
Lese ich weil…
… das Buch plötzlich da lag (Danke, Papa!). Und ich tatsächlich Benedict Cumberbatch („Sherlock“) und Johnny Lee Miller („Elementary“) in der Rolle ein bisschen über habe.
Sollte man lesen wenn…
… man gerade unter Brexit-bedingter Europa-Desillusionierung leidet. Good old times!
Geeignet für…
… Englandfans und Freunde von Feinsinnigkeit und guten Manieren.
Fazit
A classic - now and then. Gegen Sherlock Holmes sind moderne Actionhelden einfach Vollproleten - und auch der autistisch angehauchte Cumberholmes kann da ehrlich gesagt einpacken.
Martin Schacht: Gebrauchsanweisung für Burma/Myanmar (2013)
Das Buch in zwei Sätzen
Ein Reisebuch ohne Adressen, Preisangaben und Routenvorschläge, aber mit vielen Hintergrundinfos und Anekdoten. Die Gebrauchsanweisung ersetzt zwar nicht den Reiseführer oder einen Tourguide, verrät aber viel wirklich Hilfreiches und Interessantes.
Lese ich weil…
… der Urlaub diesen Dezember nach Myanmar geht.
Sollte man lesen wenn…
… man einen guten, nicht allzu medienverstellten Einblick in Land und Leute möchte.
Geeignet für…
… Individualtouristen und solche, die es werden wollen - auch ohne sich schon wer weiß wie in Südostasien auszukennen.
Fazit
Angenehm zu lesen, unterhaltsam und trotzdem informativ. Also so, wie man es eigentlich auch sonst von dieser Reihe gewohnt ist. Absolut empfehlenswerte Ergänzung zum Reiseführer.
Was sind Eure oder Ihre Buchempfehlungen? Wir freuen uns natürlich über weitere Plaudereien vom Nachttisch!
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