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Die Tochter: Ein Haus voller Bücher

Das Haus voller Bücher
Es war nicht leicht, diesen ersten Blogeintrag zu schreiben. Es soll um die Krull GmbH gehen, die ich lieber bei dem Namen ihres Webauftrittes nenne, "Das feine Buch". Das feine Buch ist ein Versandantiquariat, das es seit 2007 gibt; es wird von meinen Eltern betrieben. Inzwischen ist 2018 und nachdem ich mir als magistrierte Philosophin und Anglistin noch ein Wirtschaftsstudium um die Ohren gehauen und dieses Jahr mit einer Abschlussarbeit über das Geschäftsmodell der Krull GmbH beendet habe, bin ich mit an Bord: Zu allem Studierelend bin ich nun sozusagen auch noch einmal in die Ausbildung gegangen. Wie der findige Leser ahnen mag, ist das für alle Beteiligten nicht immer einfach, aber auch schön. Es erfordert viel Kommunikation, Dialog. Dieser Blog ist Teil des Dialogs. Also fange ich einfach an - mit dem Versuch einer Erklärung. Warum mache ich das eigentlich?

Seit ich denken kann, habe ich in Räumen voller Bücher gelebt. Die Häuser, in denen die Räume sich befanden, änderten sich über die Jahre, ebenso wie die Inneneinrichtung und die Höhe der Regale und selbstverständlich auch die Bücher, die sich in ihnen befanden. In vielen der Bücher ging es wiederum um Bücher oder um deren Verwendung - das Ausrichten des Lebens um die gebundene Drucksache herum war in allen Variationen ein Thema. Manches belustigte mich mitunter, etwa "Wohnen mit Büchern" - als Jugendliche fand ich die Vorstellung, dem Sujet wiederum ein ganzes Buch zu widmen, erheiternd.

Nichsdestotrotz hat mich diese Allgegenwart so nachhaltig geprägt, dass ich mich nicht nur zwischenzeitlich für Buchwissenschaften eingeschrieben hatte (wenn auch nur für zwei Monate, ich habe den Exmatrikulationsbescheid neulich noch gefunden), es wurde mir nachgerade unmöglich, ein Leben (und auch Wohnen) anders zu denken. Schon zu Schulzeiten, wenn ich bei Klassenkameraden zu Gast war, deren Eltern ihre Wohnzimmer mit Vitrinen voller Andenken und Kitsch gefüllt hatten, anstatt eine anständige Bücherwand zu installieren, kam mir die Umgebung irgendwie geschmacklos vor. Eine Welt, die kleingeistig bleiben musste. Wahre Spießigkeit. Und als ich vor nicht allzu langer Zeit ein großes Aufräumen à la Marie Kondo in meiner Heimstatt veranstaltete, geriet ich mit den Ordnungsprinzipien der erklärten Aufräumkönigin spätestens in dem Kapitel aneinander, in dem die (vorzugsweise nur noch wenigen) Bücher unsichtbar gemacht, weil im Schrank verstaut werden sollten. Nein, wenn ich umzog, bekamen die Kistenträger Angst - das war immer so und würde auch immer so bleiben!

Wie wahrscheinlich die meisten Kinder wollte ich unbedingt endlich in die Schule, um schnell lesen zu lernen. Als ich es dann konnte, wurde ich nicht enttäuscht und entdeckte, was ich schon geahnt hatte: Bücher sind wie Freunde, wie endlose gute Gesellschaft. Antiquare wissen das noch ein bisschen besser als andere, normale Leute, denn sie kennen den Trennungsschmerz, den sie immer wieder auf Gesichtern von Menschen sehen, die ihnen Bücher verkaufen, und, noch ärger, den sie jedes Mal verspüren, wenn sie ein Buch wieder ein bisschen zu günstig (oder, schlimmer noch, viel zu günstig!) verkauft haben.

Aber warum das alles?

Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt, hat Wittgenstein gesagt. Der war ja bekanntlich ein kluger Mensch. Die aberwitzig vielen Tore, aufgestoßen durch immer neue (und alte) fantastische Bücher, lassen diese Grenzen verblassen, die Welt nahezu unendlich wirken. Sie befreien den Geist, verleihen dem Gelähmten Beine, dem Feigling Mut und den Gedanken Flügel, und auch, wenn das Wegwerfen alter Bücher eine nicht zu unterschätzende Kardinaltugend des Antiquars ist, kann man doch den innerlichen Aufschrei vieler Menschen bei dem Gedanken daran bestens nachfühlen, ähnlich dem Entsetzen über Bücherverbrennungen.

Das Antiquariatswesen vornehmlich als großen Bewahrer kultureller Schätze zu betrachten, finde ich ja ein bisschen pathetisch. Es ist auch viel Recycling dabei. Aber wenn ich mich frage, warum ich gerne Antiquarin sein möchte, dann kommen mir im Wesentlichen zwei Gedanken: Zum einen fühle ich mich da wohl, in so einem Haus voller Bücher. Und der andere Gedanke ist der an den grummeligen, schlecht gelaunten Antiquar aus der "Unendlichen Geschichte". Denn ich bin sicher, über Netflix kommt niemand nach Phántasien.


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